Leben und Lassen

Unheimliche Bedrohung

„Willst du mit mir Pferdchen und Reiter spielen“, fragt die unbekannte Stimme als ich den Hörer abnehme. Angewidert und verunsichert stottere ich: „Wer ist denn da?“ Die Frage bleibt unbeantwortet. Ich lege auf.
Am nächsten Abend wiederholt sich ein ähnliches Szenario. Abermals vergällen mir obszöne Worte einer singsangartigen, leisen Männerstimme das Tagesende.
Wieder und wieder ruft ER an.
Bei jedem Telefonklingeln denke ich zuerst an IHN.
Irgendwann nehme ich nicht mehr ab. Auf dem Anrufbeantworter höre ich begehrende Wünsche, schweres Atmen, befreiende Samenergüsse.
Angst kriecht in mir hoch. ER wird zur Bedrohung. Was weiß ER über mich, was will ER, wie weit ist ER bereit zu gehen?
Als ich eines Abends aus dem Fenster schaue, steht ein Mann an der Straßenecke. Er schaut zu mir. Schaut ER mich an? Ich verfalle in Panik, kante einen Stuhl unter die Türklinke der Hochparterrewohung. Nachts ist ER Herr wilder Albträume, tags bin ich Verfolgte.
ER fängt an mein Leben zu bestimmen.
Verzweifeltes Kundtun meiner Leidensgeschichte zeitigt Mitgefühl und Ratschläge. Das kräftige Blasen einer Trillerpfeife beim nächsten Anruf bleibt erfolglos.
ER ruft wieder an.
Freunde mit männlich kräftigen Stimmen nehmen mein Telefon ab.
ER ruft wieder an.
Ein Polizeibeamter hört seelenruhig meinem Vortrag zu und meint, ich solle wiederkommen, wenn mir wirklich etwas passiert sei. Entmutigt verlasse ich das Revier.
Wen habe ich brüskiert, wen verletzt, welchem Mann habe ich so weh getan, daß er mir das antut? Ich weiß es nicht.
ER ruft an. Wieder und wieder.
Inzwischen völlig neurotisch, starte ich einen letzten, verzweifelten Versuch SEINE Identität aufzudecken. Ausschlußverfahren. Ich stehe nicht im Telefonbuch. Wer hat IHM meine Nummer gegeben? Niemand im Freundes- und Bekanntenkreis bejaht die Frage. Bleibt das Arbeitsumfeld. Ich beginne die Menschen zu beobachten, die sich hier an Kunst delektieren. Welcher Mann besucht die gleiche Ausstellung wiederholt? Dann ist da eines Tages plötzlich dieses wohlbekannte, unheimliche Gefühl der Angst. Ich blicke mich um. Ein mir unbekannter Mann, klein, unscheinbar, Mitte vierzig, schaut mich an. Der nicht, denke ich.
ER ruft an.
Zwei Tage später ist der gutgekleidete Grauhaarige erneut da.
ER ruft wieder an.
Der Kleine schaut sich nochmals die Bilder an.
ER muß es sein, denke ich und bin mir nicht sicher. Die Angst, einen Unschuldigen zu verdächtigen, verhindert eine Reaktion, von der ich nicht mal weiß, wie sie sein sollte.
ER ruft an. Wieder und wieder.
Wochen später sitze ich in milder Sommernacht mit Freundin D. weinselig auf einer Caféterrasse. Aus dem Nichts erscheint der VERDÄCHTIGTE, ein Rad schiebend, vor dem Etablissement. Penibel sichert ER das Gefährt und nimmt am letzten freien Tisch Platz. Direkt neben uns. Ich tuschele Freundin D. den neuesten Stand der lästigen Geschichte zu. „Bist du sicher er ist es?“ fragt D. „Zu 90 Prozent“, antworte ich unsicher. „Dann mach’ ich DEM jetzt ein Ende“, raunt sie mir zu - mich im Ungewissen lassend was folgen sollte.
Selten habe ich D. so erlebt. Überlegen, weltgewandt und lasziv räkelt sich diese wunderbare Frau in Position und skandiert: „Ach, dieser Kleine hier am Nachbartisch? Der belästigt dich seit Monaten sexuell am Telefon? Klarer Napoleonkomplex. Guck ihn dir an: der kriegt doch sonst niemals einen hoch!“
Peinliche Stille fällt über die Terrasse. Verschämte Blicke, Grinsen, gezieltes Stieren, kurz darauf lautes Lachen. Versteinert klebe ich auf meinem Stuhl.
Der VERDÄCHTIGTE schreckt hoch. Hastig steht er auf, entsichert sein Fahrrad und radelt verkrampft in die Nacht.
Nie wieder hat ER mich angerufen.
Epilog: Eine Mitarbeiterin beichtete mir später, sie hätte diesem ‚netten Herren’, der vorgab ein Freund von mir zu sein, meine Telefonnummer verraten.

Neugier

„Bringt er dich zum Lachen“, fragt Freundin K. plötzlich und löst im Bruchteil einer Sekunde ein Synapsenschlußchaos aus.

Zartes Blühen

Werbung

am verregneten Samstagnachmittag in der Auguststraße. Was wie ein weiteres Kunstobjekt der 4. Berlin-Biennale für Zeitgenössische Kunst daher kam, entpuppte sich als Werbung der dahinter liegenden, eingerüsteten "Milchhalle". Mit dem Wetter ob solch sanften Blühens augenblicklich versöhnt, ließ sich der Arbeitsweg ohne Neid auf freizeitverwöhnte Kunstflaneure fortsetzen.

instinctus naturae

Mit 190 über die dreispurige Autobahn. Mittelspur. Nur so läßt sich bleierne Müdigkeit durch vorbeirasende Linien eingrenzen. Der Laster zieht von rechts in die Spur.
Chaos im Kopf. Wach im Sekundenbruchteil. Herzfrequenz und Puls in pathologischer Höhe. Kein Ausweg, gefangen in Selbstüberschätzung. Bremsen schreit das Kleinhirn. Wertvolle Sekunden, verlangsamter Reaktionsfähigkeit geschuldet, verloren. Links lückenloses Rasen. Rechts also. Bremsend hinüber ziehen. Am Laster vorbei sehen - Unfall auf der rechten Spur. Kein Entrinnen. Tunnelblick, Dunkel, ein lichter Meeresstrand, Gesichter geliebter Menschen im Zeitraffer. Gefühlt letzte Momente.
Bremsen. Eine Hand breit hinter dem Auffahrchaos bleibt der Wagen stehen.

worte...

einfach so fallen gelassen
von vertrauten
werden plötzlich
zu gold

Überfall

An die haste-mal-nen-Euro-Typen vor dem Supermarkt (früher wollten sie nur die Hälfte) hat sich die Beobachterin inzwischen gewöhnt. Was sie aber bei jedem Einkauf erschrecken läßt, sind die neben den Bittenden kauernden, das Geld oft grimmig und wegen ihrer Größe bedrohlich einfordernden Hunde.
Immer wieder betritt die Beobachterin den Supermarkt mit einem Schaudern, bedeckt eine Gänsehaut ihren Körper und läßt sie frösteln.
Abwesend sortiert sie dann alltägliche Bedürfnisse in ihren Einkaufswagen und erinnert sich jenes ursächlichen, frühkindlichen Sonntags.
Ein Rummel ist in der Stadt und ein Vater begleitet seine vierjährige Tochter zum Erleben beschwingter Lust und seltener Genüsse.
Noch ganz benommen von Zuckerwattebergen und unzähligen Karussellrunden durch den blauen Kleinstadthimmel machen sich Vater und Tochter später auf den Heimweg. Vorbei an schmucken Häuschen mit penibel gepflegten Vorgärten plaudert das Mädchen in den Sommertag.
Ein Wort gibt das andere, der Vater wird plötzlich ob unbedacht fallen gelassener Worte des Mädchens böse, familiärer Zwist entbrennt.
Just in diesem Moment schießt ein dunkles Etwas auf die menschenleere Straße und läuft rasend schnell auf das Mädchen zu. Das Kind erstarrt, ein großer Schäferhund haut seine Tatzen auf schmale Schultern und fletscht die Zähne, bereit selbige in das zarte Gesicht zu schlagen. Die schlimmsten Albträume des Mädchens scheinen mit einem Mal Wirklichkeit zu werden: der Höllenhund Keberos wird ihr den Gar ausmachen. Den Vater hat es vergrätzt, hilfesuchende Blicke verlieren sich im Nichts.
Wie durch einen Schleier sieht das Mädchen seinen Vater voller Wut und Kraft ins Gemächt des Hundes treten. Von Watte gepolstert scheint ihm die akustische Wahrnehmung des dem Kraftakt folgenden Winselns des flüchtenden Tieres.
Befreit blickt die Tochter auf zu ihrem Vater. Er wird genau in diesem Moment zu ihrem Held. Und fortan sieht sie immer, wenn sie denkt, sie müsse über ihren eigenen Schatten springen, diesen eben noch verärgerten Mann vor sich.
Die Beobachterin grübelt noch heute, ob der Geifer des Höllenhundes im Garten der unachtsamen Besitzer als giftiger Fingerhut weiter lebt.
Und wann immer ein vermeintlicher Schäferhund neben den Bittenden vor dem Supermarkt thront, entrichtet die, der Hunderassen unkundige Beobachterin ihren Obolus. Angst und Reue und Bewunderung für ihren Helden öffnen ihr das Portemonnaie.

Tierliebe

Fünfmarkstückgroß ruderte ein winziges Etwas im Bassin der Zoohandlung. „Die da Papa, die hat so lustige Flecken am Bauch“, träumte das kleine Mädchen laut vor sich hin. Ein kräftiger Mittdreißiger, Vater des berockten Knirpses, konnte den Wunsch nicht abschlagen. Immerhin, eine Wasserschildkröte macht keinen Lärm, ist relativ anspruchslos und wenn es denn unbedingt ein Haustier sein sollte, warum nicht dieses putzige Reptil. So zog „Flecki“ ins neue heimatliche Aquarium und das kleine Mädchen war’s zufrieden.
Schnell entwickelte die anfangs fingerzahme Wasserschildkröte eine eigene Persönlichkeit. Nicht jedes Futter war ihr Recht. Den Entzug favorisierten Schabefleisches, bevorzugt auf der über der Wasseroberfläche liegenden, felsigen Erhöhung eingenommen, bestrafte sie mit gnadenlosem Abtauchen in die Untiefen ihres Beckens. Viel schlimmer aber: Flecki wuchs – und mit zunehmender Größe wurde sie garstig. Streicheln ließ sie sich schon lange nicht mehr. Jeden Annäherungsversuch des kleinen Mädchens bestrafte sie mit katzenähnlichem Fauchen. Einmal schlug sie sogar erfolgreich einen ihrer paddelförmigen Füße mit voller Wucht in die Hand des kleinen Mädchens, das erschrocken und weinend den blutenden Finger aus dem Wasser zog und fortan jedes Interesse an Flecki verlor.
Nach vier Jahren, nur von gelegentlichen, katzenlautgleichen Wutentäußerungen unterbrochener, stummer Familienmitgliedschaft, war Flecki der Größe ihres Aquariums entwachsen. Eine Erweiterung der Behausung verbaten das ob ihres Haustiers überdrüssige kleine Mädchen und die zu geringe Wohnfläche.
Besorgt und mit schlechtem Gewissen unternahm der inzwischen angegraute Anfangvierziger zaghafte Versuche, das Reptil in einer artgemäßen Umgebung zu plazieren. Aber: keine Zoohandlung wollte Flecki kaufen, kein Tierheim hatte Verständnis für die großgewordene Schildkröte mit der eigenen Persönlichkeit.
So ersann der Vater einen Plan.
Ein Sonntagsausflug schien die Lösung. Heimlich steckte er Flecki in die pinkfarbene Brottasche des kleinen Mädchens, verbarg selbige unter seiner dicken Winterjacke und lud Abenteuer versprechend zu einem Besuch des Botanischen Gartens der Stadt.
Fröhlich durchwanderte das kleine Mädchen die Gewächshäuser, schwitzend keuchte der Vater mit bis zum Kragen geschlossener Jacke hinter ihr.
Endlich hatten sie den Ort angedachter väterlicher Erlösung erreicht. „Guck mal, die vielen Schildkröten“, skandierte das kleine Mädchen vor einem Wasserfall stehend, der einen kleinen Teich voll mit munter vor sich hin rudernden Schildkröten speiste. Der Vater kam sich vor wie ein Kleinkrimineller mit seinem, weitere Besucher beobachtenden Blick. Dann schien der richtige Moment gekommen, das kleine Mädchen abgelenkt, außer den beiden niemand mehr da. Blitzschnell öffnete der Vater Jacke und Brotbüchse. Schuldbewußt ergriff er Flecki, ließ sie ins Wasser gleiten. Verdutzt und plump landete das Tier mitten unter ihm fremden Artgenossen. Das kleine Mädchen bemerkte nichts, wunderte sich auch nicht als ihr der Vater die leere Brotbüchse umhängte und erleichtert seine Jacke auszog.
Die beiden schlenderten weiter, kehrten später noch einmal an den Tatort zurück. Das kleine Mädchen nahm den schuldbewußten Gesichtsausdruck des Vaters nicht wahr. Der jedoch erkannte Flecki zwischen den anderen Schildkröten, das Füßchen eines weitaus kleineren Artgenossen im Maul – nein, Flecki hatte nichts von Chelones Jungfräulichkeit.
Auf dem Heimweg flüsterte der Vater seiner Tochter zu: „Ich muß dir heute Abend eine traurige Geschichte erzählen.“ Den Rest der Bahnfahrt sann er nach über einen Wunsch, den er dem kleinen Mädchen glücklicher erfüllen könnte.

Unverhofft...

...klingelt das Telefon in den stillen, einsamen Abend. Einfach so bescheren mir warme, freundliche Worte und einige wenige Klicks ein neues Spielzeug. Einfach so geht ein Wunsch in Erfüllung. Danke, großer Zauberer.

Ruhelos…

Das klak, klak, klak der Stilettos verhallt in nächtlichen Häuserschluchten, ungehört. Im Stakkato wiederholen sich Wortfetzen geführter Gespräche im Kopf. Wirre Momente gelebter Sehnsüchte, brüchiger Träume, phantastischer Ideen. Offenheit, die verletzbar macht, Vertrauen, das Wagemut erzeugt. Gedanken, die nicht einfach verklingen.

...

"Ich bin für mein Glück selbst verantwortlich", sprach die Freundin. Dann blies uns ein kalter, schneidiger Ostwind den Atem ins Gesicht.

User Status

Du bist nicht angemeldet.

Meinungen

sie haben doch nicht...
das reisefieber und die fotolust "kurriert"? ich vermiss...
Ranunkelchen - 27. Mai, 23:14
auch von mir....
... alles gute nachträglich.
Doro (Gast) - 10. Mär, 17:13
hab lieben dank!
Paula notes - 8. Mär, 23:03
herzlichen glückwunsch!...
schneck08 - 6. Mär, 00:04
ich selbst
kanns aus 9monatiger eigener abstinenz nur empfehlen!...
ranunkelchen (Gast) - 12. Okt, 21:35
ja, sicher
und fern und scheinbar nicht erreichbar. aber für mich...
Paula notes - 6. Sep, 01:12
der nachthimmel hat's...
der nachthimmel hat's gut.
schneck08 - 5. Sep, 10:14

Suche

 

Impressum

Dies ist ein Privat-Blog
Haftungsausschluss

Briefkasten:
paulanotes [at] web.de

Status

Online seit 7010 Tagen
Zuletzt aktualisiert: 15. Apr, 10:03

development